Verbindung Holzminden–Berlin reaktiviert
„Berlin 21 Streetworkers“ im Jazz-Club vor begeistertem Publikum
(ez) Es gab sie einmal, die Direktverbindung nach Berlin per Bahn zu Zeiten der Dampfloks. Und so passte ein Titel des ersten Sets am Samstagabend im Clubgarten perfekt. Thorsten Zwingenberger, Bandleader und Drummer der neuen Formation „Berlin 21 Streetworkers“, ließ mit einem langen Solo den Dampfzug anfahren und Geschwindigkeit aufnehmen. Einsteigen bitte, Türen schließen, ein Pfiff der Trillerpfeife und ab ging es Richtung Bahnhof Zoo. Man brauchte nur die Augen zu schließen und sah sofort die stampfende Lok vor sich, sah die die Räder rollen und roch vielleicht sogar noch den Qualm.
Begonnen hatte das Konzert mit dem
Titel „Going Home“, gefolgt von „Revelation“. Dann gab es
„New Ordeals“, also neue Gemeinheiten, geschrieben vom Pianisten
Linonel Haas. Gemein waren die echt fiesen Rhythmen, 7/4 und 7/8
Takte gemischt mit Boogie und lange wirbelnde Pianoläufe. Die
Zuhörer bekamen zuvor den wohlgemeinten Rat, dass sich ein Mitzählen
des Taktes einfach nicht lohne.
Neben Thorsten Zwingenberger für Schlagzeug und Percussion und dem Pianisten Lionel Haas standen der Bassist Martin Lillich (je eine Bassgitarre mit und ohne Bünde) und zum ersten Mal in dieser Formation der absolut fingerfertige Gitarrist Alexej Wagner auf der Bühne im Clubgarten. „Zum ersten Mal“ – das war auf verschiedene Weise gültig, das erste Konzert im Club nach langer unfreiwilliger Pause, das erste echte Konzert der Band nach Monaten des Auftretens als Straßenmusiker an Ecken und Plätzen in Berlin, das erste Mal die neuen Stühle für Gartenkonzerte genutzt.
Im zweiten Set folgte auf Titel von Bob Marley und Stevie Wonder mit „Natascha’s Dance“ wieder eine Eigenkomposition des Pianisten, gefühlvoll swingend, kurz gestört von einem vorbeifahrenden Zug, der sich dann auch noch mit einem Hupenton akustisch einbringen wollte. Es war aber die falsche Tonart! „Seven Days“ von Sting im 5/4 Takt bekam extra langen Applaus. Und danach folgte ein Ausflug nach Afrika, in den Regenwald mit all seinen seltsamen Geräuschen, perfekt inszeniert von Thorsten Zwingenberger durch Ge- und Mißbrauch des Schlagzeugs, mit einer Vielzahl von Percussion- und „Geräusch“instrumenten. Nach einem sehr langen Solo stiegen Gitarre, Bass und Piano mit ein. „Ruffle Shuffle“, geschrieben vom Bassisten, der übrigens gerade am Samstag Geburtstag hatte, setzte dem Abend mit seinen Triolen und der eigenwilligen Phrasierung einen fulminanten Schlusspunkt. Der begeisterte und lang anhaltende Applaus lockte die Musiker für eine Zugabe auf die nächtliche Bühne. „Spanien“ von Chick Corea wurde gespielt als Verneigung vor einem der Giganten des zeitgenössischen Jazz, der leider Anfang des Jahres verstorben ist.
Das nächste Konzert im Jazz-Club soll am 26. Juni stattfinden. Es spielt der Jazzgitarrist Ansgar Specht mit seiner Band, die zuletzt im Juni 2019 hier zu Gast waren.