Pressebericht JCH 19.09.2021
Jazz und Blues lassen sich von keinem Virus bezwingen
Drei Tage Holzmindener Jazz-Festival mit grandiosen Musikern
(ez) Die Domfestspiele hat Gandersheim und die Roswitha und zum Glück auch eine kleine feine Jazzformation, das „Gandersheimer Jazz Quintett“. Diese Band eröffnete am Freitag das 31. Jazz-Festival Holzminden im alten Bahnhof. Ihr neuer junger Drummer Peter Ganser war zum ersten Mal mit dabei. „Lullaby of Birdland“ stand am Beginn des Abends, gefolgt von einem Blues von Charly Parker, bei dem der Pianist Frank Westphal gleich richtig loslegen konnte. Die Melodieführung übernimmt in dem Quintett das Saxophon von Jürgen Rech und wechselt sich dabei mit der Gitarre von Tarek Fahmi ab, gelegentlich auch mit dem Piano. Oder letzteres und die Gitarre halten Zwiesprache. Bebop und Swing, Latin und Broadway-Melodien wurden geboten, auch ein Titel im ¾-Takt – der „West Coast Blues“ von Wes Montgomery. „All of me“, oft gespielt von Louis Armstrong, begann hier mit einem langen ausgefeilten Gitarrensolo, beim „Blues for Alice“ gab es ein Schlagzeugsolo und das Stück endete mit hingehauchten Akkorden. Die grandiose Broadwaynummer „But not for me“ beendete den Auftritt und nach viel Applaus folgte als Zugabe „Billy’s bounce“.
Der Pianist Jan Luley, die afro-amerikanische Sängerin Brenda Boykin mit Wahlheimat Wuppertal und der Saxophonist und Klarinettist Thomas L’Étienne sind das aktuelle „Jan Luley Trio“. „Immer ein bisschen New Orleans“, viel Blues und traditionelle Titel, aber auch ein früher Elvis Presley Song standen auf dem Programm. Der bekannte „Basin Street Blues“ - nur instrumental dargeboten – war das erste Stück. Beim folgenden „Exactly like you“ hat Brenda Boykin mit ihrer außergewöhnlichen Stimme und ihrem Charisma gleich ab den ersten Takten das Publikum mitgerissen. Diese Stimme ist gefühlvoll sanft bis energiegeladen und kräftig, der Stimmumfang gewaltig. Sie drückt Humor aus und Trauer, auch Ärger, ebenso Melancholie und unbändige Lebensfreude. Und da sowohl der Klarinette als insbesondere dem Saxophon nachgesagt wird, als Jazzinstrument der menschlichen Stimme am nächsten zu kommen, waren oft quasi zwei Vokalisten zu hören. Sehr gut kam das bei „Crying time“ heraus, einem romantisch-traurigen Song, bei dem Thomas L’Étienne seine Klarinette so richtig klagen und weinen ließ. Teils englisch, meist aber deutsch führte die Sängerin durch das Programm. So erklärte sie, dass während der Depression die Songwriter gern aufmunternde Stücke schrieben, und daher erzählt „Pennies from heaven“, dass die fallenden Regentropfen eigentlich Geldstücke sind. In perlenden Läufen ließ der Pianist also die Pennies herabklingeln. – Als Überraschung kam gegen Ende noch ein Pianostück zu vier Händen, ein spontan improvisierter rasanter „Holzminden Boogie-Woogie-Blues“ zusammen mit Dirk Raufeisen, der als Gast anwesend war. Zwei Pianisten auf einem Hocker, Platztausch während des Spielens, dazu Saxophonbegleitung und Sprechgesang. Einfach Klasse! Der begeisterte, lang anhaltende Applaus wurde mit einem fantastischen, unter die Haut gehenden „Summertime“ als Zugabe belohnt.
Das Duo „Blue Mood“ mit dem Pianisten und Sänger Roland Weller und dem Gitarristen Stefan Neumann mit seiner beeindruckenden Reibeisenstimme hatte am Samstag seinen ersten Auftritt nach langer Pause. Die beiden sagen von sich, dass sie so recht keinem Stilgenre zuzuordnen sind, recht bluesig war es aber insgesamt doch. Viele Eigenkompositionen beschäftigten sich in echter Blues-Manier mit den Themen Liebe, Enttäuschung, Ärger, Versöhnung oder schlimmem Ende der Sache. Ein dänisches Volkslied mit dem Titel „Zeit verrinnt“ wurde in individueller Fassung gespielt, die Hauptmelodie besteht aus gerade mal drei Tönen, um die herum sich der Song entwickelt. „Blues coming soon“ begann vollkommen ruhig, dann schlichen sich unerwartet vor dem ebenfalls ruhigen Ende lebhafte, rhythmisch betonte Passagen ein. Das reinste Tongemälde ist der Titel „Way to north“, mit dem Roland Weller eine Kreuzfahrt durch die Fjorde Norwegens beschreibt: leise Wellen, ruhige See, mächtige Felsen und Sturm, zum Schluss der sichere Hafen. „Still believing in love“ nahm zum Schluss des Auftritts noch einmal die bekannten Bausteine der Bluestexte auf, also wieder Liebe und Leid.
Genau betrachtet war dieses 31. Jazz-Festival absolut piano-betont, denn auch die folgende Band „Swing Division“ gruppierte sich um die schwarzen und weißen Tasten. Dirk Raufeisen am Piano, am Kontrabass Götz Ömmert, dazu der Schlagzeuger Gregor Beck und als Bläser Stefanie Wagner mit Jazz-Querflöten und Colin Dawson an der Trompete bilden die „Swing Division“. Mit einem klanglichen Feuerwerk ging es los, ein in extremem Tempo dargebotenes „Honeysuckle Rose“ von Fats Waller. Die Bandmitglieder stellten sich in der Reihenfolge Piano, Trompete, Flöte, Bass, Schlagzeug darin auch gleich solistisch vor. Viele traditionelle Stücke aus Jazz, Soul und Blues bekam das Publikum zu hören, und der ganz eigene, ungewohnte Klang der Flöte gab dem Sound eine besondere Note. „Exactly like you“ mit einem erfrischen Dialog von Flöte und Trompete, eine ganz eigene Version des legendären Gershwin-Klassikers „Summertime“ und vor der Pause noch „Boisterous blues“, das Solostück für den Pianisten. Dirk Raufeisen übersetzt den Titel mit „verrückter Blues“ und so wird es dann auch: erst verhalten, dann kräftige Akkorde mit der linken Hand, immer drängender, die Sache nimmt Fahrt auf, die Rechte spielt wilde Läufe, die Finger fliegen. Begeisterter Applaus. – Nach der Pause begann es karibisch mit „St. Thomas“ und rhythmisch ging es weiter mit „I got rhythm“, wo die Trompete ein wild fetziges, teilweise wunderbar schräges Solo spielte. „Take the A-train“ kann rasch oder gemächlich gespielt werden, die Band hatte sich für Regionalbahntempo entschieden, wenngleich im Mittelteil doch kurz beschleunigt wurde. Als Trio-Stück spielten Piano, Kontrabass und Schlagzeug den Titel „Goodbye J.D.“ im Latin-Rhythmus. Hier konnte Gregor Beck mit einem fulminanten langen Schlagzeugsolo so richtig sein Können zeigen, es ist ein Paradestück für Drummer. „Every day I have the blues“ beschließt den Abend. Die leider nicht sehr zahlreichen Zuhörer applaudierten als wären es doppelt so viele und nach der Zugabe „C-Jam Blues“ gingen sie mit dem Gefühl nach Hause, etwas Besonderes erlebt zu haben.
Wieder Piano am Sonntagmorgen: Dirk Raufeisen solo mit vorwiegend Boogie-Woogie. Frage an den Solisten: Bach, könnte man sagen, schreitet gemessen, Beethoven will erhabene Gefühle wecken, und was macht der Boogie? „Boogie bedeutet vor allem Bewegung, Energie, Lebensfreude“. Gut so. Ein „Good Morning Boogie“ weckt auch eventuell noch verschlafene Gäste zuverlässig auf. Wie am Abend zuvor spielt der Pianist „Honeysuckle Rose“, jetzt aber langsamer, gefühlvoller, intensiver. Als großer Beatles-Fan outet er sich und bringt eine Boogie-Woogie-Version von „Can’t buy me love“, die den Beatles bestimmt gefallen hätte. „Moon glow“ – sehr romantisch, „Up and down Boogie“ – sehr fetzig, „Caravan“ – etwas verrückt mit chromatischen Akkordfolgen und Läufen, „Route 66“ – rockig in Anlehnung an die Interpretation der Rolling Stones. Ein wenig Jam-Session folgt. Wilfried Steinmetz mit seiner Klarinette spielt zusammen mit Dirk Raufeisen „All of me“ und den „Basin Street Blues“, dann kommt noch Erich Tietzel dazu und es gibt vierhändig den „After hour blues“. Ein Duett von Piano und Klarinette beschließt das Festival – „Creole love call“ bekommt noch einmal großen Applaus.